Lidia Zessin-Jurek, the member of the ERC project Unlikely refuge?, gave a public speech at a memory event organized today by the municipality of Frankfurt (Oder) on the occasion of the European Day of Remembrance of the Victims of Stalinism and National Socialism. The title of her presentation was “European place of remembrance: Siberia.”
The Original Abstract (in German)
Europäischer Erinnerungsort: Sibirien
Der Vortrag beschreibt die in der EU differierenden Erinnerungen an die Zwangsdeportationen nach Sibirien unmittelbar vor und während des Zweiten Weltkriegs. Stalin ordnete im Rahmen seiner Politik die Zwangsmigration bestimmter Gruppen und Nationalitäten nach Sibirien als präventive Bestrafung und Eliminierung der „ungünstigen Elemente” an (Intelligenz, Eliten, reichere Bauer, nationale Minderheiten). Die Zwangsarbeit hatte letztendlich auch Militärzwecke während des Krieges – die kostenlose Arbeitskraft wurde unter anderem für die Kriegsindustrie genutzt.
Von den Deportationen in den Osten in den Jahren 1939-1941 waren Juden, Balten, Polen und Deutsche (Wolgadeutsche) sowie viele weitere Nationalitäten im östlichen Europa betroffen. Der Vortrag zeigt auf, dass die Erinnerung an die Deportationen und an die sowjetischen Arbeitslager innerhalb der EU-Mitgliedsstaaten deutliche Unterschiede aufweist. Mehr als 80 Jahre nach dem Ribbentrop-Molotov-Pakt tun sich viele europäische Länder immer noch schwer mit der Anerkennung des Ausmaßes und der Bedeutung der stalinistischen Repressionen. Sie befürchten, dass eine solche Anerkennung die Einzigartigkeit der nationalsozialistischen Verfolgung und Vernichtung der europäischen Juden in Frage stellt. Der Vortrag geht von der These aus, dass es genug Raum für eine ausgewogene Erinnerung an die Opfer beider totalitärer Systeme gibt und dass die Einbeziehung des Gulag ein tragendes Element europäischer Erinnerung bilden sollte, die zur Heilung von Wunden und Traumata beiträgt.